
ROM, 5. Mai 2009 – Asmara, Kairo, Tripolis, Asmara. Pater Austin hält etwa zwanzig weiße Umschläge in der Hand. Er überprüft die mit der Hand darauf geschriebenen Adressen. Die Umschläge haben keine Briefmarken. Es sind die Briefe der eritreischen Häftlinge aus Burg el Arab. Wir sind in Ägypten. Die Gemeinde Saint Yousuf, auf der wohlhabenden Nilinsel Zamalek, mitten im Zentrum von Kairo, ist eine Anlaufstelle für etwa 200 Eritreer die in dieser Gegend leben. Am Vortag hat eine Delegation der Gemeinde das Gefängnis Burg el Arab besucht, das im Norden, in der Nähe von Alexandria, liegt. Sie konnten mit 15 Häftlingen sprechen, die ihnen einige Briefe an ihre Familien ausgehändigt haben. 170 Eritreer sitzen hinter Gittern. Und nicht nur in Burg el Arab. In halb Ägypten haben sich die Gefängnisse in den letzten zwei Jahren mit Flüchtlingen aus Eritrea und dem Sudan gefüllt. Sie werden auf der Sinai-Halbinsel verhaftet und nach Qanater, nach Kairo, nach el-Arish und Rafah, in der Nähe des Gazastreifens, und in den Süden, nach Hurghada, Shallal und Aswan, gebracht.

Dies ist die neue Route der eritreischen und sudanesischen Diaspora. Das Endziel ist Israel. Nach Ägypten kommen sie auf dem Landweg über den Sudan oder mit einem Touristenvisum mit dem Flugzeug, nach Kairo. Von der Hauptstadt aus werden sie mit Hilfe von Mittelsmännern, in Lastwagen versteckt, nach Isma’iliyah im Norden gebracht. Von dort werden die Flüchtlinge weiter nach el-Arish oder Rafah gebracht. Dank ihrer Nähe zum Gazastreifen leben diese Städte seit Jahren vom Schmuggel. Es gibt viele Führer, die mit ihren Jeeps Fahrten zur israelischen Grenze in der Sinaiwüste anbieten. Oft werden die Passagiere am langen Stacheldrahtzaun an der Grenze sich selbst überlassen. Die größte Gefahr stellt die Grenzpolizei dar, die in solchen Fällen den Befehl hat,
auf sie zu schießen. 2008 hat
Amnesty International die Tötung von 25 Flüchtlingen angezeigt. Viele der Opfer waren eritreische Staatsbürger, wie die beiden jungen Männer, die am 17. September 2007 tödlich verletzt wurden: Isequ Meles, 24 Jahre alt, und Yemane Eyasu, 30 Jahre. Beide hatten den blauen Ausweis des UNHCR, mit dem ihr politisches Asyl bestätigt wurde.
Anderthalb Jahre nach ihrer Tötung treffe ich zwei ihrer Freunde. Sie heißen M. und I. und bitten mich darum, anonym zu bleiben. Wir essen zusammen in einem libanesischen Restaurant in Mohandesin, Kairo, zu Abend. I. wurde im Mai 2008 verhaftet. Er war in Isma’iliyah, auf dem Weg nach Israel. Er wurde auf die blödeste Art verhaftet: während er auf der Straße spazieren ging, allein. Sie wurden in acht mal fünf Meter großen Zellen gehalten, 60 Personen zusammen. Auf dem Boden, einer über dem anderen. Für alle 60 Personen gab es nur eine einzige Toilette. Sie waren den ganzen Tag eingesperrt, ohne das Tageslicht auch nur zu sehen. Es waren Eritreer, Sudanesen, aber auch Ivorer, Nigerianer und Kameruner, da diese Route nunmehr auch von den Küstenregionen aus eingeschlagen wird. Die meisten der Häftlinge wurden verhaftet, als sie den Sinai durchquerten. Einige Eritreer kamen auch direkt aus Libyen. Dem Tod auf dem Meer und den Razzien der Polizei Gheddafis hatten sie den jüdischen Staat vorgezogen. Sie bekamen Brot, Käse und Tahin, eine Sesampaste, zu essen. I. erinnert sich an den beißenden Geruch jener Tage. Viele litten an Durchfall. Andere hatten üble Hautentzündungen oder die Krätze. Dann erinnert er sich an die Demütigungen, die Beleidigungen und die grundlose Gewalt der Polizei, wie nach dem erfolglosen Hungerstreik von zwei Tagen, als sie geschlagen wurden. I. wurde nach 24 Tagen Haft frei gelassen. Seine Rettung war der blaue UNHCR-Ausweis. Die anderen jedoch wurden alle abgeschoben.

Zwischen dem 11. und 20. Juni 2008 wurden mindestens 810 eritreische Staatsbürger abgeschoben. Während Amnesty International aus Kairo über ihr Schicksal Alarm schlug, zeigte das Staatsfernsehen Eri TV in Asmara die Bilder der Abgeschobenen und feierte ihre Heimkehr. Der Regierungssprecher verkündete, dass alle bald zu ihren Familien zurückkehren würden und dass sie sogar eine Entschädigung in Höhe von 500 Nakfa, etwa 50 Dollar, erhalten würden. Doch es kam anders. Die Angehörigen der Abgeschobenen, die hier in Kairo leben, wissen das genau. Sie stehen ständig in Kontakt mit ihren Verwandten in der Heimat. Nur die Frauen mit Kindern sind freigelassen worden. Die anderen landeten direkt in den Militärcamps oder im Gefängnis, wie C.

C. war ein Zellengenosse von I. im Gefängnis Isma’iliyah. Er gehörte zu der Gruppe von 800 Eritreern, die im Juni 2008 aus Ägypten abgeschoben wurden. Er hat sich im Januar 2009 wieder gemeldet, nach sechs Monaten. Er hatte die Handynummer von M., einem Freund von I. in Kairo, bei sich, und rief ihn an. Er rief aus Khartoum, im Sudan, an, wo er bis heute lebt, und erzählte, dass er zusammen mit drei anderen politischen Häftlingen aus dem Gefängnis Weea, in der Nähe von Gelaelo, fliehen konnte. Das Gefängnis Weea hat in Eritrea eine traurige Berühmtheit erlangt. Es liegt in einer Senke, in einer der heißesten Gegenden des Landes. Neben verschiedenartigen Folterungen sind die Häftlinge oft während der heißesten Stunden am Tag der Sonne ausgesetzt, die Temperaturen erreichen dann 50 Grad Celsius. M. kennt das Gefängnis Weea gut. Er war einer der Hunderten von
Studenten, die im August 2001 festgenommen wurden, nach Demonstrationen gegen die autoritäre Wendung des Präsidenten Issaias, die in der Annullierung der Wahlen, der Verhaftung von 11 der 15 wichtigsten Personen der Regierung und der Parteien, der Vertreibung des italienischen Botschafters und der Verbannung der unabhängigen Presse gegipfelt waren. Zwei der Studenten starben in der Hitze der Sonne. Aber nicht alle der Abgeschobenen wurden nach Weea gebracht. Die Deserteure wurden zurück zu den Einheiten der Armee gebracht und verbüßen ihre Strafe wahrscheinlich in den Militärgefängnissen. Diejenigen jedoch, die ihren Militärdienst noch nicht angetreten hatten, wurden nach Klima, in der Nähe von Aseb, in ein Militärcamp gebracht. Andere verschwanden einfach: ihre Familien wissen nichts über ihren Verbleib.
Trotz der Abschiebungen brechen die Emigranten weiterhin in Richtung Israel auf. Das hat dazu geführt, dass das israelische Parlament in erster Lesung einen
Gesetzesentwurf beschlossen hat, der bis zu sieben Jahre Haft für die illegale Einreise in das Land vorsieht. Aber seit wenn gibt es diese Route? Und warum Israel, und nicht Europa? Um dies zu verstehen, muss man 26 Jahre zurückgehen, ins Jahr 1983, zum Beginn des dritten Kriegs im Südsudan, der zwei Millionen Opfer in 20 Jahren Kampf gefordert hat. Anfang der achtziger Jahre wurden Ölfelder im Süden entdeckt. Durch den bewaffneten Konflikt zwischen der Armee und den Spla-Rebellen (Sudan People’s Liberation Army) gab es hunderttausende Vertriebene, im Land und außerhalb. Ägypten, im Norden, war ein natürlicher Fluchtweg. Die ersten Flüchtlinge kamen 1985 nach Kairo. Sie wurden von den Comboni-Missionaren vom Herzen Jesu in Abbasiyah aufgenommen.