TRIPOLI - 7/7/09 - Auf dem Flüchtlingsboot, das am 1.7.2009 vor Lampedusa nach Libyen zurückgeschoben wurde (es waren insgesamt 89 Flüchtlinge) waren auch eine große Anzahl eritreischer Flüchtlinge. Politische Flüchtlinge. Die nun mit der Abschiebung rechnen müssen. Oder mit Haft auf unbestimmte Zeit in libyschen Gefängnissen, in denen sie schon einmal waren. Die 65 Männer befinden sich in der Haftanstalt von Zuwarah, die 9 Frauen im Frauengefängnis von Zawiyah, im Osten Tripolis’. Wir haben die komplette Liste der Eritreer erhalten, können sie aber aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlichen. Es handelt sich zum größten Teil um Kriegsdienstverweigerer. Sie sind ein kleiner Teil der ca. 130.000 eritreischen Flüchtlinge, die sich im Sudan befinden. Jahrelang wurden die jungen Frauen und Männer Eritreas zum Militärdienst rekrutiert, sobald sie das dazu notwendige Alter erreichten und wurden gezwungen, diesem auf unbestimmte Zeit zu dienen; Verweigerer werden inhaftiert. Journalisten, aufmerksame Beobachter, Politiker und religiöse Führer trifft das gleiche Schicksal in diesem Land, welches sich seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 2001 zunehmend autoritär entwickelte. Italien hat Verständnis für die Situation in Eritrea, so viel sogar, dass der Mehrheit der 2.739 Eritreer, die im letzten Jahr an der sizilianischen Küste landeten, eine Aufenthaltsgenehmigung bewilligt wurde. Dies geschah in Übereinstimmung mit internationalen Auflagen für politische Flüchtlinge. Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Erzwungene Zurückweisungen auf See gehören mittlerweile zur Norm. Es spielt kaum eine Rolle, dass Menschen, die im Falle einer Heimkehr ihr Leben riskieren würden, zurück nach Libyen zurückgesandt werden.
Nach allem machte Roberto Maroni, Innenminister Italiens, deutlich “UNHCR kann Asylbewerber in Libyen ausfindig machen”. Das war’s. Warum muss ein Flüchtling Asyl in Europa suchen, wenn er/sie es ebenso in Libyen tun könnte? Wer weiß, ob die 75 zur Rückkehr gezwungenen und anschließend in Libyen inhaftierten eritreischen Flüchtlinge dem zustimmen würden? Die Hohe Kommission der UN für Flüchtlinge wurde bereits über diesen Fall informiert. Wenn alles gut geht, wird die Rücksendung annulliert und die Flüchtlinge werden nach Misratah gesandt, einem Auffanglager 200 km östlich von Tripolis, wo seit 2006 weitere 600 Eritreer auf eine Lösung warten. Diese Lösung, vorgeschlagen von Maroni, wird Umsiedlung (resettlement)genannt und besteht aus der Verlegung der politischen Flüchtlinge in ein drittes Land, welches gewillt ist, sie aufzunehmen. Italien tat dies im Jahre 2007 mit der Aufnahme von 60 eritreischen Frauen, welche seit über einem Jahr in Misratah inhaftiert waren. Einige Flüchtlinge befinden sich dort seit über drei Jahren. Sie bevorzugen inhaftiert zu bleiben, besser als in eritreische Gefängnisse oder Verstecke an der eritreisch-äthiopischen Grenze zurückzukehren. Dabei verschwenden sie die besten Jahre ihres Lebens. Sie warten darauf, dass Italien und Europa ihnen die Türen einen Spalt öffnen.
Die Missachtung von fundamentalen Menschenrechten ist eine der schlimmsten Konsequenzen dieser Politik der Zurückweisung von Asylbewerbern nach Libyen ohne Einzelfallprüfung. Menschenrechte fielen Zweckmäßigkeiten zum Opfer. Was viele Beobachter nicht realisieren, ist, dass jeder der 74 zurückgekehrten Eritreer das Recht besitzt, beim Europäischen Gerichtshof Einspruch gegen die Verletzung des Rechtes auf Asyl, des Rechtes frei von Folter und Unmenschlichkeit oder entwürdigender Behandlung zu leben, sowie des Rechtes auf faire Anhörung einzulegen - sie würden höchstwahrscheinlich gewinnen. In einem ähnlichen Fall letzten Monat präsentierten 24 somalische und eritreischen Flüchtlinge, denen der Zutritt verweigert wurde, ihren Fall dem Europäischen Gerichtshof, unterstützt von Giulo Lana, Anwalt beim römischen Gerichtshof. Die am 1. Juli zurückgesandten Flüchtlinge haben ebenso gesetzliche Rechte, jedoch keinen Zugang zu einem Rechtsberater.
Kürzlich erst wurde die Verfahrensweise zur Ablehnung von Asylanträgen beschleunigt. Zwei der abgeschobenen Eritreer – deren Namen nicht veröffentlich werden können – mussten dies am eigenen Leib erfahren. Als sie realisierten, dass das italienische Marineschiff “Orione” in Richtung Süden steuerte, protestierten sie energisch. Gemäß der Aussage von Zeugen brach zwischen einigen Beamten und den zwei Flüchtlingen ein Handgemenge aus. Keine Angst: die Italiener können trotzdem tief schlafen. Gemäß den Wahlplakaten der NLP (Northern League Party/Laga Nord): “Wir stoppten die Invasion.” Inzwischen wurden am 5.Juli weitere 40 Migranten von italienischen Patrouillen nach Libyen zurückgewiesen. Sie befanden sich auf einem nicht mehr steuerbaren Schlauchboot, 70 Seemeilen südlich von Lampedusa. Sieben der Passagiere, unter ihnen fünf Frauen, waren in einem schlechten gesundheitlichen Zustand und wurden ins Krankenhaus nach Catania gebracht, wo sie sich derzeit immer noch befinden.
von Gabriele del Grande, aus dem Italienischen und Englischen von Judith Gleitze und Pia Oelke
November 2008
Nachts, wenn die Stimmen der Häftlinge und das Geschrei der Polizei verstummen, hört man vom Hof des Gefängnisses das Meer. Die Wellen des Mittelmeers branden auf den Strand, etwa hundert Meter von der Mauer des Häftlingslagers entfernt. Wir sind in Misratah, 210 km östlich von Tripolis, in Libyen. Und die Häftlinge sind alle politische Asylbewerber aus Eritrea, die im Meer vor Lampedusa oder in den Wohnvierteln der Einwanderer in Tripolis verhaftet wurden[mehr lesen...]